Redesigning Design
Die denkende Hand – Gestaltung als Erkenntnis. adlerschmidt und Bazon Brock laden ein in die Denkerei.
von Cornelia Dörries
»Von Natur aus gibt es keine hermeneutischen Voraussetzungen für das Überleben – alles funktioniert ohne jegliches Verstehen.«
(Bazon Brock)
Um es es gleich vorweg zu nehmen: Das Missverhältnis zwischen dem Gebrauch des Begriffs »Kommunikation«, also des Einander-Verständlich-Machens, und der zunehmenden Unübersichtlichkeit der Welt wird sich weiter vertiefen. Auch die Bemühungen des Kommunikationsdesigns, diesem Dilemma Abhilfe zu schaffen, führen am Ende nur dazu, es weiter zu verschärfen. Denn jeder Versuch, Verstehen zu ermöglichen, Probleme zu lösen und Funktionsabläufe geschmeidig zu halten, führt unweigerlich zu neuen Unverständlichkeiten und Problemen.
Das jedenfalls ist der Ausgangspunkt von Bazon Brocks Überlegungen zum, wie er sagt, »Phantasma des Handelns als Problemlösung«. Wer sich der Behebung eines Missstands annehmen will, sei eingedenk, dass er mit seiner vermeintlichen Lösung nur neue Fragen aufwirft, die wiederum einer Antwort harren.
Damit schlägt Brock in seinem passionierten Auftakt einen erkenntnistheoretischen Bogen zu dem, was Florian Adler vorher in seiner Eröffnungsrede schon illustriert hatte, als er von den 1.200 Signalen – Schilder, Hinweistafeln, Verkehrszeichen, Werbung, Plakate – berichtete, die er zusammen mit seinen Studenten im Verlauf von nur einem Kilometer Berliner Straßenland zählte. Denn all diese Wegweiser, Informationen und Richtungsempfehlungen sollten dem Menschen ja ursprünglich helfen, Wege durch das undurchdringliche, prähistorische Dickicht zu finden.
Nun sind die hilfreichen Orientierungsversuche über die Jahrhunderte selbst zu einem Dickicht geworden, das dem Urwald in seiner schieren Anzahl an konfrontativen, verunsichernden Signalen in nichts nachsteht. Könnte ein weiteres Leitsystem hier Abhilfe schaffen? Oder muss man als Designer einsehen, dass es für die komplexen Kommunikationsvorgänge in unserer Umwelt keine Lösung mehr geben kann, da diese ja unmöglich ein Verstehen dieser Komplexität voraussetzt? Doch wie ist dann Verständigung möglich?
»Die denkende Hand ist tatsächlich der Kernbegriff unseres Prozesses von Verstehen, den wir als Begreifen bezeichnen.«
(Ulrich Heinen)
Wer verstehen will, muss sehen und begreifen lernen. Für die Stoiker war Erkenntnis immer das emotional geläuterte Erfassen, ein Vorgang, der durchaus wörtlich zu nehmen war: Wer etwas verstehen will, muss dieses Etwas in seiner Wirklichkeit begreifen, und nicht dessen Bild.
Professor Ulrich Heinen, der in der Denkerei als »Fachvorstand für Stoische Diätetik« firmiert, stellt seinen Ausführungen ein programmatisches Motiv voran: eine Tafel des Malers Ghirlandaio aus dem frühen 16. Jahrhundert, auf der steht »Sua cuique persona« – Jedem seine Maske. Das Recht auf ein wahrhaftiges Bild vom Ich, die Identität, an der sich arbeiten lässt, die sozialen Rollen, die zu spielen sind – all das wird nicht erst seit den postmodernen Diskursen problematisiert. Heinen ruft dafür den Barockmaler Rubens und den römischen Stoiker Seneca in den Zeugenstand und kommt am Ende bei der Designtheorie der Gegenwart an, die er angesichts ihrer epistemologischen Dürftigkeit als »Vergewaltigung der Designpraxis« kritisiert. Denn theoretisch ist die Designpraxis noch fest in den Händen der angrenzenden Disziplinen wie Kunstgeschichte, Architektur und Neurophysiologie. Eine Designtheorie, die den Namen auch verdient, muss sich jedoch der Frage widmen, wie sich ohne Rückgriff auf diese anderen Disziplinen – aus dem Akt des Gestaltens ethische Prinzipien ergeben. Es sind Prinzipien, die sich aus der Frage der Glaubhaftigkeit ergeben, ohne die gesellschaftliche Teilhabe nicht möglich ist.
»Griechenland geht ja immer, wenn man nicht gerade über Ökonomie spricht.«
(Sascha Lobo)
Sascha Lobo, der als externer Disputant das Feld der digitalisierten Kommunikation bestellt, beginnt überraschenderweise auch in der Antike, in der Simonides von Keos mit seiner allein auf Erinnerung beruhenden Rekonstruktion eines durch unglückliche Umstände beendeten Festmahls als Urheber des ersten virtuellen Raums ausgemacht werden kann. Mnemotechnik und Design, virtuelle Wirklichkeiten gegen die Zumutungen einer Wirklichkeit, die sich dem menschlichen Willen widersetzt und mit unlösbaren Problemen konfrontiert.
Es klingt fast so, als wäre der Abend an diesem Punkt wieder dort angelangt, wo er begonnen hatte – bis Laura Bean and the Spanish Inquisition übernimmt und die mental geforderten Gäste gegen Mitternacht in eine sinnliche Körperlichkeit zurückholt.
Die Veranstaltung fand statt am am 5. Juni 2012 in der Denkerei am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg.
(Fotos: Christian Frey)